Agentur

(Beitrag im Online-Verwaltungslexikon olev.de, Version 1.62)

1 Definition

Eine weitgehend verselbständigte nachgeordnete Einrichtung, die nicht mehr der umfassenden Fachaufsicht (mit jederzeitigem Eingriffsrecht auch in Einzelentscheidungen) unterliegt, wie es für "nachgeordnete Behörden" typisch ist.

Agenturen werden als weitere Form der "Steuerung auf Abstand" nach dem Vorbild anderer Staaten der OECD auch in Deutschland als eine stärker und systematischer zu nutzende Form der Aufgabenwahrnehmung diskutiert. Agenturen werden z. B. über Zielvereinbarungen und Globalbudgets gesteuert, soweit sie Aufgaben nicht noch stärker eigenverantwortlich wahrnehmen und nur der Rechtsaufsicht unterliegen (wie z. B. Kartell- und Regulierungsbehörden, Bundesagentur für Arbeit - BA). Agenturen sind auch in der Europäischen Union vorhanden, ihre Funktion wird im Weißbuch der EU-Kommission "Europäisches Regieren" erörtert, kritisch zu einer Ausweitung des Einsatzes die Stellungnahme des EU-Parlaments vom 29. November 2001.

In der Schweiz sind Agenturen Teil eines Gesamtkonzepts der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben auf Bundesebene (siehe das 4-Kreise-Modell mit Anmerkung).

2 Weitere Informationen

2.1 Verwendung in Deutschland

In der deutschen Bundesverwaltung wurde für die frühere Bundesanstalt für Arbeit nach der Reform die Bezeichnung "Agentur" (Bundesagentur für Arbeit - BA) verwendet, um die besondere Unabhängigkeit von der Politik bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben im Sinne des Agentur-Begriffs zu verdeutlichen. Sie unterliegt nur der Rechts- und nicht der Fachaufsicht, nimmt also die ihr übertragenen Aufgaben in eigener Verantwortung wahr - und hat damit die Möglichkeit politisch unabhängigen Managements. Die Rechtsform der BA ist "Körperschaft des Öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung".

2.2 Verwaltungstypologie

Horváth & Partner (2001 : 393) haben vorgeschlagen, die Institutionen nach Politiknähe und Gestaltungsspielraum in einer Vier-Felder-Matrix zu ordnen, siehe die folgende Grafik:

Verwaltungstypologie nach Politiknähe

In diese Typologie wären die Agenturen im linken unteren Quadranten, aber oberhalb der klassischen nachgeordneten Behörden einzuordnen, weil sie nicht der vollen Fachaufsicht, eher nur der Rechtsaufsicht unterliegen, andererseits aber Aufgaben wahrzunehmen haben, die gerade nicht einer politischen Steuerung unterliegen (sollen).

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2.3 Schweizer Konzeption auf Bundesebene

Die Schweiz hat auf Bundesebene eine klare Struktur für die gesamte Bundesverwaltung vorgesehen. Ursprünglich wurde sie als "4-Kreise-Modell" formuliert (siehe im folgenden), inzwischen baut die Konzeption auf einer Typologie der Aufgaben, die den früheren Kreisen entsprechen, aber durch ihre Benennung zugleich verdeutlichen, welche Art der Aufgaben damit jeweils wahrgenommen werden:

Siehe im einzelnen unten "Aufgabentypologie"

2.3.1 Das 4-Kreise-Modell der Schweizer Bundesverwaltung

In der Schweizer Bundesverwaltung werden die Aufgabenträger je nach politischem Steuerungsbedarf in 4 Kategorien einordnet: je geringer der politische Steuerungsbedarf, desto unabhängiger ist der Aufgabenträger (Details, Anmerkung zur Terminologie und zur Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse).

Das 4-Kreise-Modell der Schweizer Bundesverwaltung
Gliederung der Aufgabenträger je nach Art der Aufgabe in 4 Kategorien:
je geringer der politische Steuerungsbedarf, desto unabhängiger der Aufgabenträger
1. Kreis
zentrale Bundesverwaltung
2. Kreis
zentrale Bundesverwaltung
3. Kreis
dezentrale Bundesverwaltung
4. Kreis
ausserhalb Bundesverwaltung
Kernverwaltung, die in erster Linie politische Steuerungs- und Koordinationsleistungen erbringt Führen mit Leistungsauftrag und Globalbudget FLAG
Öffentlich-rechtliche Betriebe, Institute, Agenturen zu 100% im Besitz des Bundes Privatrechtliche oder spezialgesetzliche Unternehmen im alleinigen oder mehrheitlichen Eigentum des Bundes

Beispiele:

Generalsekretariate
Bundesamt für Sozialversicherung
Bundesamt für Justiz
Staatssekretariat für Wirtschaft
Bundesamt für Verkehr

Beispiele:

MeteoSchweiz
Eidg. Amt für Messwesen
Landestopographie
swissmint
Landwirtschaftliche Forschungsanstalten

Beispiele:

ETH-Bereich
Institut für geistiges Eigentum
geplant:
Schweizerisches Heilmittelinstitut
Neue Pensionskasse des Bundes
Nationale Sicherheitsagentur

Beispiele:

Post
RUAG Suisse
SBB
Swisscom
Übernommen vom Newsletter des EFD Eidgenössischen Finanzdepartments EFD Infoplus Nr. 11, Mai 2000, S. 5.

Anmerkung: Nach dem Sprachgebrauch dieses Schweizer Konzepts gehören die "Agenturen" zum 3. Kreis, der "dezentralen Bundesverwaltung", die in deutscher Terminologie nur der Rechtsaufsicht untersteht. Das Agentur-Konzept, wie es für Deutschland diskutiert wird, umfasst aber auch Einrichtungen mit einer "Steuerung auf Abstand" durch Zielvereinbarungen und Globalbudgets, also auch einer fachlichen Steuerung, wenn auch "neuer Art".

4-Kreise-Modell der Schweizer Bundesverwaltung

Quelle: Schweizerische Bundeskanzlei (Hrsg.): Bürgernah und wirksam:
Regierungs- und Verwaltungsreform. Oktober 2000, S. 7.
Online-Quelle am 22.06.2010

2.3.2 Aufgabentypologie der Schweizer Bundesverwaltung

In neueren Veröffentlichungen werden die 4 Kreise durch 4 Aufgabentypen ersetzt - den Kreisen werden also je spezifische Arten von Aufgaben zugeordnet, die Orientierung für verschiedene Entscheidungen (Rechtsform, Art der Steuerung, Entsendung von Verwaltungsvertretern in Gremien usw.) geben:

Ministerialaufgaben Dienstleistungen mit Monopolcharakter Wirtschafts- und Sicherheitsaufsicht Dienstleistungen am Markt
umfassen insbesondere Tätigkeiten der politischen Koordination und Steuerung sowie der Politikvorbereitung. Sie umfassen auch Dienstleistungen mit stark hoheitlichem Charakter. Oft ist ihre Erfüllung mit Eingriffen in die Grundrechte verbunden (z.B. innere und äussere Sicherheit). Sie weisen einen hohen politischen Steuerungs- und Legitimationsbedarf sowie einen ausgeprägten Koordinationsbedarf mit anderen Aufgaben des Bundes auf. Sie werden über die Gesetzgebung und durch andere Vorgaben des Parlaments geführt (Beispiele: Aussenpolitik, Aufgaben im Bereich Ordnung und öffentliche Sicherheit). zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Erbringung weitgehend durch internationale, technische oder wissenschaftliche Vorgaben bestimmt ist, so dass wenig Raum für eine politische Steuerung und ein geringer Bedarf nach verwaltungsinterner Koordination besteht. Der Erfolg dieser teilweise marktnah zu erbringenden Dienstleistungen hängt stark von der Reputation ab, über welche die beauftragte Organisationseinheit verfügt. Nicht selten sind solche Dienstleistungen auch attraktiv für Mäzene und Sponsoren, wie etwa in den Bereichen Bildung, Forschung und Kultur. Sie bedürfen einer engeren politischen Steuerung als die Aufgaben der beiden folgenden Aufgabentypen, da die Gesetzgebung in der Regel erheblichen Ermessensspielraum belässt und die Mehrheit dieser Aufgaben nicht ohne öffentliche Gelder zu bewältigen ist. Aufgaben der Wirtschafts- und der Sicherheitsaufsicht sind – ähnlich wie die Rechtsprechung – ohne politische Einflussnahme im Einzelfall auszuführen (Beispiele: Finanzmarktaufsicht, Aufsicht über Kernanlagen). Die Unabhängigkeit der Leistungserbringung von der zentralen Bundesverwaltung ist somit wichtig. werden überwiegend durch Angebot und Nachfrage gesteuert, wobei ein Mindestversorgungsgrad gesetzlich garantiert ist (Beispiele: Fernmelde- oder Postdienstleistungen). Ihr Erbringer muss über eine weitgehende Eigenständigkeit verfügen, um sich erfolgreich am Markt positionieren zu können.

Übernommen von der Website der Eidgenössischen Finanzverwaltung am 19.11.2010

Für die Bewertung des Konzepts und eine mögliche Übertragung auf deutsche Verhältnisse siehe die Anmerkung zum 4-Kreise-Modell, die entsprechend gilt.

Informationen zur aktuellen Situation in dieser Frage sind auf der vorbildlich strukturierten Website der Eidgenössischen Finanzverwaltung enthalten, ebenso wie Links auf wichtige Dokumente, z. B. dem Corporate Governance-Bericht des Bundesrats vom 13.9.2006.

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2.4 Europäische Agenturen

Zur Verwendung von Agenturen in der Europäischen Union siehe die detaillierte Darstellung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages: Europäische Agenturen, vom 6. März 2007, sowie das Weißbuch der EU-Kommission "Europäisches Regieren" sowie die Stellungnahme des EU-Parlaments vom 29. November 2001 zum Weißbuch.

2.5 Folgeprobleme der Verselbständigung in Agenturen: "Moral Hazard"

Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB) untersucht die Zielsteuerung in europäischen Arbeitsverwaltungen und dokumentiert Leistungen, aber auch Probleme, z. B. mit der Manipulation der Daten und Auswertung, aber auch durch mangelnde, verspätete, ad-hoc-Vorgaben der Politik.

Zu den Problemen heißt es in der Mitteilung des WZB über die Studie:

Typisch für die Implementation sind unter anderem Kontrollprobleme der Umsetzungsagenturen durch den Auftraggeber ("Moral-Hazard"-Problem). Befunde aus Fallstudienländern bestätigen, daß periodisch mehr oder minder schwere Manipulationen bei der Datenerfassung und Aufbereitung der Zielerreichung auftreten. Es ist aber auch festzustellen, daß bestimmte Probleme zwischen Politik (Regierung, Ministerium) und Arbeitsverwaltung nicht unbedingt minder bedeutsam sind als verwaltungsinternes Moral Hazard.
(WZB-Mitteilungen Nr. 94, Dezember 2001 (Online-Archiv), S. 13. Hervorhebung ergänzt. Siehe auch: Holger Schütz, „Zielsteuerung in europäischen Arbeitsverwaltungen“, in: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Heft 2, S. 207-225).

Das Steuerungs- und Kontrollproblem, im Sprachgebrauch der Principal-Agent-Theorie "moral hazard" genannt, tritt bei jeder Art einer Entscheidungsfreiheit des "Auftragnehmers" auf, also auch bei der Umsetzung des Neuen Steuerungsmodells, der Budgetierung usw., wird aber selten diskutiert und noch weniger oft in der Praxis berücksichtigt.

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3 Literaturhinweise

Zur Principal-Agent-Theorie und ihrer Bedeutung für die Verwaltungsmodernisierung siehe z. B. Reinermann, Neues Politik- und Verwaltungsmanagement: Leitbild und theoretische Grundlagen. Speyerer Arbeitshefte 130, Speyer 2000, S. 91 f. (Online-Quelle)

Zur Verwaltungstypologie siehe Horváth & Partners 2001 und 2004