Leitbilder: unverzichtbar oder wirkungslos?
Ein Beitrag zur aktuellen Diskussion von Dr. Rainer Heinz, Hauptreferent der KGSt

(Übernommen aus: KGSt-Info 2000, S. 118 ff. in das Online-Verwaltungslexikon olev.de)


Leitbilder beschäftigen sich mit den längerfristig gültigen Globalzielen einer Kommune sowie ihren Prinzipien, Normen und Spielregeln.

Die Notwendigkeit von bewusst entwickelten und vereinbarten Leitbildern ist aber sowohl im kommunalen als auch im privatwirtschaftlichen Bereich nicht unumstritten. Befürworter verweisen zumeist auf die Bedeutung der so genannten "weichen Faktoren" für den Erfolg einer Organisation und empfehlen ein Leitbild als gemeinsame Handlungsgrundlage. Kritiker bestreiten zwar in der Regel nicht die Bedeutung der "weichen Faktoren", wohl aber ihre Steuerbarkeit und/oder die Wirkungskraft von Leitbildern. Diese Position wird scheinbar dadurch gestützt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Aussagen des Leitbildes oft nicht wiedergeben können und Beteiligte wie Beobachter oft enttäuscht sind, wie wenig ein Leitbild das "tägliche Geschäft" beeinflusst bzw. verändert hat. Systematisch bleibt jedoch offen, ob dies auf die generelle Wirkungsschwäche von Leitbildern oder auf ihre mangelhafte Entwicklung und Umsetzung zurückzuführen ist. In absehbarer Zeit ist keine grundlegende Klärung dieser Frage zu erwarten. Zudem ist dies eher eine Aufgabe für die Wissenschaft als für die KGSt. Wohl aber können Hinweise gegeben werden, was im Sinne einer notwendigen aber noch nicht hinreichenden Bedingung für Wirksamkeit bei der Entwicklung und Umsetzung eines Leitbildes beachtet werden sollte. Konkret werden folgende Fragen überblicksartig beantwortet:

In welcher Situation kann ein Leitbild hilfreich sein?

Die Bewusstmachung und Abstimmung von Globalzielen, Spielregeln etc. ist immer dann sinnvoll, wenn diesbezügliche Meinungs- und Verhaltensunterschiede wiederholt zu wesentlichen Konflikten führen, Abstimmungsprozesse deutlich erschweren und gemeinsame Stoßrichtungen blockieren. So macht es für nahezu jede Situation einen Unterschied, ob man die primäre Funktion der Kommune überwiegend im normgerechten Vollzug gesetzlicher Aufgaben oder in der bürgerorientierten Gewährleistung von Dienstleistungen sieht. Werden die Bürger eher als Adressat der Kommune oder als Mitgestalter erachtet? Ebenso ist es im Binnenverhältnis von Bedeutung, ob man grundsätzlich eher auf strikte Regelungen und Kontrolle oder auf Delegation von Verantwortung setzt. So nützlich die Klärung solcher Fragen ist, sind Leitbilder gleichwohl nicht zur Lösung akuter Probleme geeignet. Dies hat sowohl etwas mit dem erforderlich Entwicklungsaufwand mit breiter Beteiligung vieler Akteure zu tun, als auch mit den erst darauf aufbauenden Aktivitäten zur Umsetzung. Krisensituationen erfordern Sofortmaßnahmen. Für die möglichst breite Entwicklung von grundsätzlich und längerfristig, d. h. für 3, 5 oder 10 Jahre gültigen Globalzielen und Prinzipien sind akute Krisen nicht der rechte Zeitpunkt. Dagegen kann eine Leitbilddiskussion und -entwicklung der richtige Ansatz- und Startpunkt sein, um eine grundlegende und nachhaltige Veränderung der Ziele, Strukturen und Verhaltensweisen einer Kommune einzuleiten oder zu unterstützen.

Was ist Gegenstand eines Leitbildes?

Diese Frage ist von herausragender Bedeutung, wenn ein Leitbild eine gemeinsame Handlungsgrundlage für Politik und Verwaltung schaffen soll. Umso mehr erstaunt es, dass die Leitbildinhalte oft intuitiv entwickelt werden und die Ergebnisse nicht selten beliebig erscheinen. Zudem sind die Formulierungen häufig so allgemein, dass eine verhaltensprägende Wirkung kaum erwartet werden darf. Wenn z. B. nahezu jede Verhaltensweise bei ausreichendem Abstraktionsvermögen durch ein Leitbild "gedeckt" wird, kann die Orientierungswirkung nicht allzu groß sein. Die KGSt hat deshalb in ihren Überlegungen zu einem kommunalen Managementansatz in Anlehnung an die Arbeiten von Bleicher einen Ansatz für die Leitbildentwicklung erarbeitet, der auf Systematik und Stimmigkeit einerseits und auf klare Positionierung und Profilierung andererseits zielt. Einfach gesagt, sollte ein Leitbild drei zentrale Fragen klären:

Die Fragen bilden quasi die grobe Tagesordnung bzw. Gliederung für das Leitbild und sollen gemeinsam eine ganzheitliche und stimmige Handlungsgrundlage schaffen. Dabei sollte ein Grundprinzip die Diskussion leiten: "Von außen nach innen denken"! Interne Ziele, Prinzipien und Spielregeln dürfen kein Selbstzweck sein und sollten auch nicht im Mittelpunkt der Leitbilddiskussion stehen. Und: Suchen Sie nach klaren, profilgebenden Formulierungen. So ist der Satz "Die Bürger sind unser Auftraggeber" für sich allein wenig aussagekräftig und letztlich sogar falsch. Schließlich bilden auch gesetzliche Vorgaben die unmittelbare Auftragsgrundlage. Hilfreich ist, Grundsätze zu formulieren und sie mit maximal 3 bis 5 Erläuterungen zu konkretisieren. Beispiel:

Die Bürgerinnen und Bürger sind unser Auftraggeber!

Zur noch weiter gehenden Positionierung und Profilierung kann beispielsweise zu jedem Punkt eine Bewertungsskala erstellt werden, die z. B. von "trifft voll zu" bis "trifft gar nicht zu" reicht. Damit kann zu jeder Aussage die angestrebte "Soll-Position" und die angenommene "Ist-Position" sowie der daraus resultierende Handlungsbedarf bestimmt werden. Beispiel:

Nach Möglichkeit beteiligen wir die Bürgerinnen und Bürger aktiv an unseren Planungen und Aktivitäten.

Trifft
voll zu

Trifft weitgehend zu

Teils-teils

Trifft eher selten zu

Trifft gar nicht zu

{ Soll }

{ Ist }

Wie entwickelt man ein Leitbild?

Zum einen sind Diskussions- und Moderationsverfahren wichtig, die Analyse und Intuition der Beteiligten fördern und verbinden. Workshops zur Diskussion und Abstimmung von Wertvorstellungen und Erwartungen reichen nicht aus. Ohne eine klare und systematische Analyse von Stärken und Schwächen sowie Chancen und Risiken sowie einer darauf aufbauenden Entwicklung und Bewertung von Handlungsalternativen ist ein Leitbild keine realistische, ernst zu nehmende und verbindliche Handlungsgrundlage. Wichtig sind somit Methoden, die kognitive und intuitive Elemente verbinden.

Zum anderen ist die Art und Breite des Beteiligungsverfahrens ein Erfolgsfaktor. Träger des gesamten Diskussions- und Entscheidungsprozesses müssen Politik und Verwaltungsführung sein. Schließlich kann die grundlegende Ausrichtung der Kommune nicht den Mitarbeitern überlassen werden. Die abschließende Zustimmung durch Politik und Führung ist nicht ausreichend. Politik und Verwaltungsführung müssen aktiv und prägend an der Leitbildentwicklung arbeiten. Nicht sie werden beteiligt, sondern sie beteiligen die Mitarbeiterschaft und im besten Fall darüber hinaus auch Bürgerinnen und Bürger sowie ortsansässige Unternehmen, Organisationen und Gruppen. Beteiligung und Dialog dürfen jedoch nicht mit Konsensorientierung oder gar Konsenszwang verwechselt werden. Dies ist die Ursache für die oft unverbindlichen Aussagen. Vielmehr sollten drei Phasen der Leitbildentwicklung unterschieden werden:

Wie geht man mit einem Leitbild um?

Wichtiger als das schriftliche Leitbild ist der konstruktive "Streit" über die Globalziele, Prinzipien, Normen und Spielregeln. Das Leitbild ist nicht das Ziel eines Entwicklungsprozesses, sondern nur die schriftliche Zusammenfassung der vereinbarten Handlungsgrundlage. Die Forderung nach einem konstruktiven Streit ist jedoch leichter gesagt als getan. Es gibt auch kein "Patentrezept" dafür. Unverzichtbar ist aber eine klare Vorstellung vor Ort, wie der Prozess der Leitbildentwicklung zu einer hohen Ergebnisqualität führt.

Gleichwohl wäre es aber naiv anzunehmen, alle würden sich nach dem Leitbild richten. Das Leitbild ist eine Aufforderung zum Handeln! Es muss beobachtet werden, inwieweit die Aussagen des Leitbildes "gelebt" werden und wo dies durch gezielte Maßnahmen gefördert werden muss. Dies gilt für das tägliche Handeln und ist insbesondere eine wichtige Funktion der Führungskräfte. Dies gilt aber auch übergreifend für längerfristig gewollte Veränderungsprozesse der Gesamtorganisation. Insofern sollte überlegt werden, unmittelbar mit dem Leitbild ein Maßnahmenprogramm zu verknüpfen, das - anders als das Leitbild selbst - jährlich reflektiert und fortgeschrieben wird. Das oft beschworene "Veränderungsmanagement" (Changemangement) erhält dadurch Inhalt, Form und Gestalt.

Zusammenfassung

  1. Von einem Leitbild dürfen keine kurzzeitigen und unmittelbaren Ergebnisse auf der Leistungs- oder Wirkungsebene für die Bürger/innen erwartet werden. Die Erarbeitung eines Leitbildes kann jedoch zur längerfristigen Fortentwicklung bzw. Veränderung beitragen.
  2. Die Leitbildaussagen sollten
  1. Die Erarbeitung eines Leitbildes
  1. Das Leitbild ist ein Auftrag zum Handeln:

 


© Copyright: Prof. Dr. Burkhardt Krems,
Köln, 2009-12-10
http://www.olev.de/l/Leitbild-KGSt-Beitrag.htm