Inkrementalismus

(Beitrag im Online-Verwaltungslexikon olev.de, Version 1.42)

1 Definition

Politik und Praxis, nur schrittweise bzw. in kleinen Schritten zu verändern. Bestehendes wird weitgehend ungeprüft akzeptiert, rechtfertigungsbedürftig sind nur geforderte/gewünschte Veränderungen. Es ist der Gegensatz zu einer Politik oder Praxis, die Vorhandenes grundlegend in Frage stellt und/oder "großer Würfe" beabsichtigt. In der Haushaltspolitik (Budgetierung) übliches Vorgehen, in der Vergangenheit bewilligte und auch tatsächlich in Anspruch genommene (!) Haushaltsansätze ohne Überprüfung fortzuschreiben und Begründungen nur für Abweichungen von bisherigen Ansätzen oder Ist-Ergebnissen zu fordern.

2 Weitere Informationen

Inkrementalismus im Haushaltswesen schafft bei der Ausführung des Haushaltsplans den Anreiz, vorhandene Haushaltsansätze auszuschöpfen, weil das der Beleg für die "Notwendigkeit" der Mittel ist, mit der Folge des "Dezemberfiebers": gegen Ende des Rechnungsjahres werden noch alle verfügbaren Mittel verbraucht.

Diese Haushaltspolitik in kleinen Schritten wird damit zur "Science of Muddling Through", zur "Wissenschaft des Durchwurschtelns" (Wildavsky 1964: 148 unter Verwendung dieser Kategorie von Lindblom 1959). Dass dieses Vorgehen eine möglicherweise unvermeidliche Reaktion auf die Überfülle an Entscheidungsaspekten - eine Reaktion auf die Komplexität der Entscheidungssituationen - ist, zeigt die immer noch lesenswerte Aufarbeitung der Praxis in den USA durch Wildavski: The Politics of the Budgetary Process. Boston 1964 (4. Aufl., Boston 1986). Siehe auch das Plädoyer von Karl Popper für eine "Stückwerk-Sozialtechnik", 1944, wieder abgedruckt im Lesebuch, 1997, S. 293-308

Versuche, Inkrementalismus in politischer Planung und in der Haushaltspolitik zu überwinden, waren z. B. PPBS - Programmbudgetierung - und Zero Base Budgeting - Budgetierung auf Null-Basis - und sind allenfalls begrenzt erfolgreich gewesen.

Inkrementalismus ist auch eine Folge der Inputorientierung der Kameralistik, also fehlender sachlicher Erfolgsgrößen als Planungsgrundlage. Eine Neue Verwaltungsführung auf der Basis der Wirkungsorientierung könnte deshalb die Problematik des Inkrementalismus entschärfen - was einer neuer Untersuchung Wert wäre.

Inkrementalismus ist insoweit "rational", als andere Entscheidungskriterien und -verfahren nicht zur Verfügung stehen. Es ist zum Teil ein Vorgehen nach der Methode "Versuch und Irrtum", mit Optimierungsmöglichkeiten, etwa indem alle Aktivitäten, die unverändert sind, dennoch stichprobenweise und/oder im Abstand von mehreren Jahren überprüft werden (Wildavski 1964: 150 f.). Denn es bleibt beim Grundproblem: einer zu großen Fülle von Informationen und deshalb der Notwendigkeit der Reduktion von Komplexität (siehe die Diskussion dieser Problematik bei Lindblom 1959), einerseits, einer nicht möglichen "Rationalität" bei der Abwägung zwischen verschiedenen Zwecken/ Zielen und Mitteln etwa bei der Budgetierung (mehr Kultur oder mehr Sozialleistungen? Oder Sozialleistungen statt Kultur?).

Inkrementalismus kann als Instrument einer schrittweisen Problemlösung interpretiert bzw. verwendet werden, mit Parallelen sowohl zu "Stückwerk-Sozialtechnik" von Karl Popper[1] wie auch zu Rapid Prototyping.

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3 Quellen

 


Anmerkungen

Zurück zum Text Popper, Karl R.: Das Elend des Historizismus. 7. Aufl., Tübingen 2003, Abschnitte 20, 21 und 24, hier zitiert nach Popper, Karl R.: Lesebuch: ausgewählte Texte zu Erkenntnistheorie, Philosophie der Naturwissenschaften, Metaphysik, Sozialphilosophie, hrsg. von David Miller. 2. Aufl., Tübungen 1997, S. 293 ff.

Wichtig bei einem rationalen Vorgehen wäre die systematische Überprüfung der Ergebnisse der Maßnahmen, um daraus zu lernen - was im traditionellen Prozess der Haushaltsplanung nicht vorgesehen ist, aber Teil einer Neue Verwaltungsführung wäre.
   



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