Kompetenzen als Ziele von Bildung und Qualifikation

(Beitrag im Online-Verwaltungslexikon olev.de, Version 1.6, 2024-06-02)

Weiteres Material und Auszüge aus dem Bericht der Expertengruppe des Forum Bildung, 2000
Der vollständige Bericht: https://www.pedocs.de/volltexte/2008/356/pdf/ergebnisse_fb_band03.pdf

Zu beruflichen Kompetenzen siehe Kompetenz-/Potenzialbereiche von Beschäftigten

Zusatz: siehe jetzt die europäische Definition von Schlüsselkompetenzen 2006:

"Kompetenzen sind hier definiert als eine Kombination aus Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen, die an das jeweilige Umfeld angepasst sind. Schlüsselkompetenzen sind diejenigen Kompetenzen, die alle Menschen für ihre persönliche Entfaltung, soziale Integration, Bürgersinn und Beschäftigung benötigen."

Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zu Schlüsselkompetenzen für lebensbegleitendes Lernen (2006/962/EG), Online-Quelle: https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2006:394:0010:0018:DE:PDF

1   Vorbemerkung: Der Kompetenzbegriff

1.1 Ausgangslage: Kompetenz ist mehr als "Wissen"

Der bildungswissenschaftliche - und bildungs- und hochschulpolitisch aktuelle - Kompetenzbegriff geht über das hinaus, was früher oft als Bildungs-/Lernziele formuliert und diskutiert wurde, aber das (noch) nicht erfasste, was Ergebnis ("Outcome") sein sollte: die für die persönliche Entwicklung und die beruflich relevante(n) Qualifikation(en). Qualifikation ist mehr als Wissen, es bedeutet Können und Wollen. Wissen ist ein notwendiges Element, aber es erfordert mehr. Wissen wiederzugeben ist deshalb kein ausreichendes Lernziel, ebenso wenig wie die Beherrschung abstrakter Techniken. Den Aufbau einer Statistik zu verstehen reicht ebenso wenig aus wie die Kenntnis statistischer Methoden, wenn allein schon die Unterscheidung zwischen Korrelation und Kausalität und die Existenz von Fehlergrenzen fehlt: es kommt darauf an, aus ihr Schlüsse für praktische Probleme ziehen zu können - was selbst bei politischen Diskussionen oft nicht gelingt.

Als Beispiel einer modernen Kompetenzdefinition siehe z. B. die "Schlüsselkompetenz" Lesen, wie sie in der internationalen Schulleistungsstudie PISA als Kompetenzstufe II definiert wird:

Schülerinnen und Schüler, die Kompetenzstufe II erreichen, sind in der Lage, einfache Verknüpfungen zwischen verschiedenen Teilen eines Textes herzustellen und mit einer begrenzten Anzahl von konkurrierenden Informationen umzugehen. [...] Die gelesenen Informationen können mit Alltagswissen in Beziehung gesetzt und unter Bezugnahme auf persönliche Erfahrungen und Einstellungen beurteilt werden.

(Mehr und Quellen im Beitrag Lesekompetenz: Anforderungen von PISA, http://www.verwaltungsmanagement.info/studium/lernen/pisa-lesekompetenz.pdf)

Kompetenzziel etwa für "Wirtschaftlichkeit" im Rahmen einer Verwaltungsausbildung wäre deshalb nicht das Wissen um Begriffe und Regeln oder die formale Beherrschung von Rechentechniken, sondern die Fähigkeit und Bereitschaft, in Praxissituationen wirtschaftlich zu handeln ("Können", nicht nur "Wissen"), konkretisiert z. B. wie folgt als Kompetenzziel im Studium Public Management: Seitenanfang

Ich orientiere mein berufliches Handeln am Wirtschaftlichkeitsgebot und beherrsche die dafür notwendigen Prüfverfahren und Techniken. (Ausführlicher siehe den Beitrag "Wirtschaftlichkeit im Verwaltungsstudium, https://olev.de/w/wirtsch-studienthema.pdf)

 1.2 Definition "Kompetenz"

Vereinfacht: "Können" und nicht nur "Wissen".

Der Bericht der Expertengruppe des Forum Bildung enthält keine Definition von "Kompetenz", deshalb der Hinweis, dass - mit dem Bericht vereinbar - weitgehend die Definition von Franz E. Weinert gängig ist:

Kompetenzen sind „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen[FN1] und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“.

Diese Definition wird z. B. verwendet in: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Hrsg.):

Expertise: Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards (Bildungsreform Bd. 1). Berlin 2003 (Online-Quelle). Als Originalquelle wird angegeben: Weinert, F. E. : Vergleichende Leistungsmessung in Schulen – eine umstrittene Selbstverständlichkeit. In: Ders. (Hg.): Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim und Basel 2001, S. 27 f.

Siehe jetzt auch die EU-Definition, die damit vereinbar ist.


2   Auszüge aus dem Bericht

Zusammenfassung (S. 3 des Berichts)


Zentrale Kompetenzen (S. 4) sind:

Erwerb intelligenten Wissens (S. 6 f.)
erfordert vertikalen Lerntransfer
enthält Anschlussfähigkeit für lebenslanges Lernen
wird begünstigt durch lehrergesteuerten, aber schülerzentrierten Unterricht

Erwerb anwendungsfähigen Wissens (S. 8 f.)
durch situationsspezifische Erfahrungen
erfordert horizontalen Lerntransfer
wird begünstigt durch situationsspezifisches Lernen
wird erleichtert durch Projektunterricht/-arbeit

Erwerb des Lernen Lernens (Lernkompetenz) (S. 9)
erfordert Expertise über das eigene Lernen
wird begünstigt durch lateralen Lerntransfer
wird gefördert durch angeleitetes, selbständiges Lernen
und durch
Reflexionen über erfolgreiches Lernen Seitenanfang

Erwerb variabel nutzbarer methodischer Schlüsselqualifikationen (S. 9 f.)
erlaubt vielfältige, flexible, variable, hoch automatisierte Nutzung wichtiger methodischer Kompetenzen (zum Beispiel: muttersprachliche Kompetenzen, fremdsprachliche Kompetenzen, Medienkompetenzen)
wird begünstigt durch übungszentrierte Lehrformen

Erwerb sozialer Kompetenzen (S. 10)
bedeutet soziales Verstehen, soziale Geschicklichkeit, soziale Verantwortung, Konfliktlösungskompetenz
erfordert reflektierte soziale Erfahrungen
wird begünstigt durch regelgeleitete Zusammenarbeit, Gruppenunterricht, Teamarbeit, Konfliktlösungsaufgaben, etc. Seitenanfang

Erwerb von Wertorientierungen (S. 11)
(normgerechtes Handeln; soziale, demokratische und persönliche Werte)
durch Erleben einer Wertegemeinschaft
(Schulkultur, Klassengeist, Lehrervorbild, Gemeinschaftserfahrungen)
wird begünstigt durch unspezifischen Lerntransfer (Gewöhnung, Einsicht, Erfahrung, Reflexion)
wird gefördert durch lebendige demokratische Kultur in Bildungseinrichtungen

 Seitenanfang


4. Hochschule (S. 19 ff.)

Die Notwendigkeit, auch mit Hochschulbildung auf die sich wandelnden Lebens- und Arbeitswelten vorzubereiten, zwingt dazu, deren Ziele vor diesem Hintergrund zu prüfen und neu zu vereinbaren. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass einzelne Bildungsinstitutionen bzw. einzelne Bildungsgänge künftig nicht mehr in der Lage sein werden, die Absolventen mit einem solchen Wissen auszustatten, das allein ein Leben lang trägt. Auch die Qualifikationsanforderungen an Hochschulabsolventen werden sich in Zukunft grundlegend verändern. Reines Fachwissen wird nur noch eine Säule der Qualifikation sein. Der Erwerb von

wird im Verhältnis zur fachlichen Kompetenz deutlich an Bedeutung gewinnen.

Die Notwendigkeit der Überprüfung der Ziele von Hochschulbildung ergibt sich in erster Linie aus den bereits erfolgten und den künftigen Veränderungen im Hochschulbereich selbst, in der Arbeitswelt und hinsichtlich der Werte, Lebensstile und -ziele der Studierenden. Seitenanfang

Veränderungen im Hochschulbereich meinen in erster Linie den Funktionswandel von Hochschulbildung, u.a. bedingt durch den Anstieg der Studierenden je Altersjahrgang und die veränderte gesellschaftliche Stellung von Hochschulabsolventen. Hochschulbildung, ursprünglich primär auf die individuelle Entwicklung der Persönlichkeit angelegt, erhält zunehmend die Funktion der Vorbereitung für berufliche Tätigkeiten außerhalb der Wissenschaften (Employability) - auch wenn damit nicht gilt, dass die Entwicklung der individuellen Persönlichkeit deshalb nicht mehr relevant ist. Im Gegenteil: Entwicklung der Persönlichkeit durch Vorbereitung auf berufliche Tätigkeiten sollte die künftige Chiffre der Funktion von Hochschulbildung heißen. Dementsprechend müssen die Ziele von Hochschulbildung, auch die von universitärer Bildung, in wesentlich stärkerem Maße als bislang die Veränderungen in der Arbeitswelt aufgreifen.

Die Veränderungen der Arbeitswelt bestehen insbesondere darin, dass Anzahl und Anteil der Arbeitsplätze für hochqualifizierte Absolventen des Bildungssystems weiter zunehmen. Komplexe Tätigkeiten, die einen breiten Überblick über mehrere Fachdisziplinen erfordern, gewinnen an Bedeutung. Das erfordert gleichzeitig ein stärkeres Arbeiten in Teams.

Dem stehen teilweise konträre Veränderungen der Verhaltensweisen und Werte der Jugend gegenüber. Einerseits verliert das traditionelle Karriereschema an Bedeutung, immaterielle Gesichtspunkte der Lebensqualität (z. B. Spaß) spielen eine zunehmende Rolle. Andererseits steht die zunehmende Unfähigkeit, konsensuell statt im Konflikt mit anderen Menschen zu leben (Tendenz zur Ego-Gesellschaft) im Widerspruch zu einer Arbeitswelt, in der Teamarbeit absolut dominieren wird und gleichzeitig im Widerspruch zu dem zunehmend eigenen Wunsch junger Erwachsener nach einem guten Team- und Betriebsklima. Seitenanfang

Beschäftigungsfähigkeit erfordert auch kaum eine stärkere Spezialisierung, sondern den Erhalt der Breite des zu erwerbenden Wissens in den Grundlagen und Zusammenhängen bei gleichzeitig wesentlich stärkerer Befähigung zu praxisbezogener Anwendung und Verknüpfung.

Fachliche Kompetenzen von Hochschulabsolventen meinen das Verstehen grundlegender und systematischer Zusammenhänge in ihrer Disziplinarität und Interdisziplinarität sowie die Fähigkeit der praktischen Anwendung intelligenten Wissens.

Allerdings könnte intelligentes Wissen bei Reduktion auf wenige Fächer nur sehr bedingt erworben werden. Das Verstehen der vielgestaltiger werdenden Berufs- und Lebenswirklichkeit setzt mehr denn je vor allem komplexes Wissen aus unterschiedlichen Fächern, Fachdisziplinen voraus. Insofern muss Hochschulbildung gerade aufgrund der stärkeren Orientierung auf Berufsfähigkeit breit angelegt bleiben. Eine Verengung auf ausschließlich exemplarisches oder fachspezifisches Wissen würde letztlich auch Reduzierung der Berufsfähigkeit sowohl in der Wissenschaft als auch außerhalb der Hochschulen bedeuten. Seitenanfang

Erwerb anwendungsfähigen Wissens erfordert vor allem die curriculare Einbindung von interdisziplinären Projekten und Praktika in sämtliche Studiengänge; die Vorbereitung, Moderation, Begleitung und Auswertung der Projektarbeiten und Praktikumsaufträge durch Hochschullehrer. In Antizipation einer Arbeitswelt, in der Absolventen sowohl der Universitäten als auch der Fachhochschulen ihre im Studium und in anderen Lernbereichen erworbenen Kompetenzen auf ständig neue Situationen beziehen müssen, resultiert daraus die Notwendigkeit, die Studierenden auf Formen und Methoden des Anwendens vorzubereiten. Das meint vor allem die Befähigung, theoretisches Wissen auf unterschiedlichste praktische Erfordernisse zu transformieren.

Das wird u. a. möglich über curricular in sämtliche Studiengänge (der Universitäten und Fachhochschulen) eingebundene Arbeiten in Projekten - Projekte, die von Studenten eigenständig bearbeitet, aber von Hochschullehrern begleitend moderiert werden müssen. Solche Projekte haben idealerweise interdisziplinären fachübergreifenden Charakter, d. h. erfordern Wissen, Kompetenzen aus mehreren Fächern.

Anwendungsbezug wird auch mit der gezielten Nutzung von Praktika erreicht. Gegenwärtig werden die Potenziale der Praktika nur bedingt ausgeschöpft, weil sie curricular nur teilweise fest eingebunden sind, Gegenstand und Ablauf damit eher zufälligen Charakter haben. Effiziente Praktika benötigen klare Ziel- und Aufgabenstellungen sowie Auswertungen an den Hochschulen. Nur dann wird es möglich, praktische Erfahrungen vor theoretischem Hintergrund zu systematisieren, einzuordnen und gleichzeitig die Notwendigkeit theoriegeleiteten Wissens für praktische Anwendungsfälle zu demonstrieren.

 SeitenanfangZiel von Hochschulbildung zur Ausrichtung auf Beschäftigungsfähigkeit ist auch die Befähigung zu lebenslangem Lernen durch Kompetenzen der eigenständigen Wissensgenerierung, -aneignung und -anwendung. Studium als Vorbereitung auf lebenslanges Lernen mit dem Ziel der Entwicklung von Lernkompetenzen erfordert insbesondere die Dominanz problemorientierter vor fachorientierter Ausrichtung, die Berücksichtigung der außeruniversitären lebensweltlichen Erfahrungen im Studium, Modularisierung der Studiengänge in einzeln abrufbare und zertifizierbare Einheiten, flexible Zugangsregelungen und Abschlussmöglichkeiten bei Aufhebung einerseits der strengen Trennung von Aus- und Weiterbildung, Direkt- und Fernstudium und andererseits deutlicher Verschiebung der Gewichtung zugunsten von wissenschaftlicher Weiterbildung.

 SeitenanfangBeschäftigungsfähigkeit erfordert die Entwicklung sozialer Kompetenzen (Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit) durch Hochschulbildung. Traditionelle, aber auch mediengestützte individualisierte Lern- und Vermittlungsformen sind dazu nur bedingt geeignet. Vielmehr sind auch dafür mehr Projektarbeiten verbesserter Qualität (moderiert durch Hochschullehrer, interdisziplinär, stark anwendungsbezogen) notwendig.

Insgesamt erfordert dies


Anmerkungen

Zurück zum Text Volition = willentliche Steuerung von Handlungen und Handlungsabsichten. (Fußnote im Zitat)